Montag, 10. August 2015

Rezension: Lorenz Marti – Übrigens, das Leben ist schön


Ein schönes Leben führen heißt anfangen können - Augenblicklich! 

Lorenz Marti (2015). Übrigens, das Leben ist schön. Freiburg/Breisgau (GER), Verlag Herder 

Das Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt – www.herder.de 

Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)

Stichworte: Leben, Lebensbewältigung, Spiritualität, Lebenskompetenz, Rezension

Über die kleinen Beobachtungen zur Aufmerksamkeit

Lorenz Marti (2015) Übrigens, das Leben ist schön Die Tragik des Lebens
„Der Maler hatte bis gegen Abend weitergearbeitet. Nun saß er, die Hände im Schoß und stumpf vor Ermüdung, eine Weile zusammengesunken im Armstuhl, vollkommen leer und ausgepreßt, mit erschlafften Wangen und etwas entzündeten Augenlidern, alt und fast leblos, wie ein Bauer oder Holzhauer nach der schwersten körperlichen Arbeit.“ (Hesse 1980, 89) – Hermann Hesse hat in seinem Roman Roßhalde die Auflösung einer Künstlerehe beschrieben – Momente tiefer Niedergeschlagenheit werden immer wieder nachgezeichnet: „Da sah er sein eigenes Gesicht im Wasser gespiegelt. Es sah aus, wie die Gesichter der anderen: alt und bleich und tief in gleichgültiger Strenge erstarrt. Er sah es erschreckt und verwundert, und plötzlich stieg die heimliche Furchtbarkeit und sinnlose Traurigkeit seines Zustandes übermächtig in ihm auf. Er versuchte zu schreien, aber es gab keinen Ton. Er wollte laut aufweinen, aber er konnte nur das Gesicht verziehen und hilflos grinsen.“ (Hesse 1980, 109)

Jeder von weiß, wie sie sich anfühlen: das Ausgelaugtsein, das Schwächeln, das Mürbegewordensein – die Tragiken des Lebens zeichnen sich in unsere Gedanken und in unseren Körper ein. Die Spuren davon, werden mit zunehmendem Lebensalter immer schwieriger zu verbergen. Und man könnte sich die Frage stellen, welches Lachen einen mehr berührt: das Lachen eines Kindes, oder das Lachen eines alten Menschen. 

Die Geschichten des Lebens
Kunst und Leben – ein Spannungsfeld, das schon viele Menschen inspiriert hat. Die eigenen Lebenserfahrungen darzustellen, aufzuzeichnen und dabei sich und anderen Gelegenheit geben, tiefer mit bestimmten Erfahrungen und Gefühlen in Kontakt zu treten, das macht Kunst aus – Leben miteinander zu teilen – und dabei keine Facetten auszusparen – das ist für viele der Schlüssel zum gelungenen Leben. Das gelungene Leben ist ein kommunikatives Leben, „… denn sowohl in der Kunst als auch in der Psychotherapie geht es um nichts anderes als das Wesen des Menschen, um die Art, wie er sein Leben zusammen mit anderen lebt und wie er es erzählt.“ (Rotthaus 2014, 251) Dabei lassen sich auch Dimensionen benennen, die diese Erzählungen strukturieren: Neugierde, Schönheit, das Ertragen von Unsicherheit, Kreativität und die Erweiterung der Möglichkeiten (näheres dazu Rotthaus 2014, 251-256)

Die Facetten des Lebens
Und unweigerlich kommt man damit auch mit der Frage in Kontakt, was es über einen selbst zu erzählen gibt und inwiefern, dieses Erzählte tatsächlich einen selbst abbildet: „Die Geschichten, die die anderen über einen erzählen, und die Geschichten, die man über sich selbst erzählt: welche kommen der Wahrheit näher? Ist es so klar, dass es die eigenen sind? … Ist die Seele ein Ort von Tasachen? Oder sind die vermeintlichen Tatsachen nur die trügerischen Schatten unserer Geschichten?“ (Mercier 2008, 232-233) Auf den Spuren dieser trügerischen Schatten wird die Schönheit des Lebens zu entdecken sein. Das ist meine These. 

Zum Autor



Lorenz Marti hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und darin auch seinen Abschluss gemacht. Lange Jahre war er Redaktor im Bereich Religion beim Schweizer Radiosender DRS. Mittlerweile hat er vier Bücher publiziert. Seit 2002 gibt es von ihm eine monatliche Zeitungskolumne unter dem Titel "Spiritualität im Alltag", seit 2004 Lesungen und Vorträge in der Schweiz und in Deutschland. Mehr Informationen zum Autor finden sich hier: www.lorenzmarti.ch


Über die Schönheit des Lebens – Über die Schönheit des Anfangen-Könnens


An einer frühen Stelle des Buches setzt Lorenz Marti ein Zitat des italienischen Romanciers Cesare Pavese, der in einem Satz darauf hinweist, dass Leben sehr viel mit Anfangen-Können zu tun hat: „Es ist schön zu leben, weil leben anfangen heißt, immer, in jedem Augenblick.“ (Marti 2015, 15). Dieses Anfangen-Können zielt ab auf die Verwirklichung der Möglichkeiten, die einem geboten werden – nein, besser: die man sich durch seine Aufmerksamkeit und sein Engagement erst schafft. Hindernisse, die sich dabei einem in den Weg stellen, sind einerseits Fragen der Perspektive: „Was selbstverständlich scheint, kann seltsam wirken, wenn wir es von nahem betrachte.“ (Marti 2015, 46). Und damit auch etwas, das mit der eigenen Individualität zu tun hat – Meister Eckhart schreibt dazu: „Du bist die Quelle all Deiner Hindernisse.“ (Marti 2015, 33). 
Lorenz Marti macht sich in seinem Buch „Übrigens, das Leben ist schön – Entdeckungen auf der Rückseite des Selbstverständlichen“ Gedanken über kleinere und größere Begebenheiten – diese Betrachtungen hat er selbst in den natürlichen Kreislauf der Jahreszeiten gestellt. Die Form, der er sich dabei bedient, ist die Glosse, die Kolumne. Kurz und bündig, werden einzelne Gedanken in diesen Texten dargelegt. Das Thema: das Leben, und wie wir es führen.
Jack Keronac hat es auf den Punkt gebracht: „Vor uns lag noch ein längerer Weg. Uns sollte es recht sein. Der Weg ist das Leben.“ (Marti 2015, 59) Dieser Weg ist gepflastert mit Selbstverständlichkeiten – in anderen Zusammenhängen liest man auch Begrifflichkeiten wie Gewohnheiten, Routinen, habitualisiertes Verhalten, usw. Hinter diesen Selbstverständlichkeiten verbergen sich aber auch wesentliche Werte, an denen wir uns orientieren. Sie in Frage zu stellen, ist keine leichte Angelegenheit – manchmal braucht es dafür äußere Ereignisse – Trennungen, Unfälle, Verluste. Gerade wenn Trauer, Sorge, Schmerzen unser Leben bestimmen, scheinen sich Fragen nach der Schönheit des Lebens wie zynische Häme anzufühlen – „Ist das Leben wirklich schön? Na ja, manchmal schon. Aber nicht immer und nicht überall. Genaugenommen sind die Momente, wo wir es einfach als schön empfinden, eher selten.“ (Marti 2015, 171) 
Dennoch – Leben heißt anfangen und damit wird uns eine Entscheidungsmöglichkeit gegeben, der wir uns wirklich bewusst sein sollten – „Ein waches Leben ist ein schönes Leben.“ (Marti 2015, 172) Die Einfachheit, von der bereits gesprochen wurde, bezieht sich aber nicht auf den Aufwand, der dahinter steckt – die Einfachheit bezieht sich vielmehr auf die Möglichkeit, die sich im Loslassen verborgen hält. Mit vollen Händen lässt sich nichts mehr tragen. Wenn es uns gelingt, den Quellen der Hindernissen, die in uns selbst verborgen liegen, das Wasser abzuschöpfen, dann gelingt uns auch ein schönes Leben. Ganz ohne Mystik? Nach Ansicht von Lorenz Marti eher nicht – doch Mystik greift in diesem Zusammenhang auf Begriffe und Vorstellungen zurück, die den meisten von uns sehr vertraut sind, zum Beispiel Liebe: „Wo das Denken aufhört … da beginnt die Liebe.“ – wie es bei Mesiter Eckhart formuliert wird (Marti 2015, 174)
Liebe versus Denken – das Annehmen und Gewährenlassen versus das Analysieren und Klassifizieren. Ist das schöne Leben ein gedachtes Leben? Vielleicht … 

Fazit

Lorenz Marti nähert sich den Fragen nach dem guten und schönen Leben durch kleine Beobachtungen und Bemerkungen, die im aufgefallen sind, und denen er sich in kurzen Glossen näher widmet. Diese Kolumnenform ist auch mit gewissen Einschränkungen verbunden, die sich in den einzelnen Ausgestaltungen der Gedankengänge widerspiegeln. Manchmal hat man als den Leser den Eindruck, als müsste noch ein klein wenig mehr gesagt werden, um den Gedanken der Glosse stimmig abzubilden – manchmal gelingt es Lorenz Marti aber ganz gut, seine Eindrücke in die stimmig vorzulegen. Durch die Kolumnenform ist es auch immer wieder augenscheinlich, dass sich gewisse Widersprüche einschleichen, die nicht ausdrücklich aufgelöst werden – vielleicht liegt es aber auch daran, dass kleine Betrachtungen einfach nur kleine Betrachtungen sind – ein größeres Bild soll nicht gezeichnet werden. Und vielleicht sind auch aus diesem Grund, die Zitate im Buch nicht ausgewiesen – sie dienen dem Autor bloß als Ausgangspunkt für seine Überlegungen.
Alles in allem liegt mit diesem Buch eine angenehme Lektüre vor, die unaufdringlich, leise und anregend die schönen Seiten des Lebens in den Mittelpunkt rückt. Die Schönheit des Lebens ist eine Frage der Aufmerksamkeit und Bücher wie dieses helfen dabei, neue Perspektiven einnehmen zu können und etwas zur Ruhe zu kommen.
Abschließend noch der Hinweis: „A beautiful way to practice mindfulness, which is almost guaranteed to improve your social life, is to apply mindfulness toward others for the benefit of others.” (Tan 2013, 48) – an dieser Stelle kann auch von Liebe gesprochen werden, und ich bin mir sicher, Lorenz Marti entdeckt an der Rückseite dieser Selbstverständlichkeit Wege des Spirituellen.

Harald G. Kratochvila, Wien

Verwendete Literatur:

Hesse, H. (1980 [1956]). Roßhalde. Berlin (GER), Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Mercier, P. (2008 [2004]). Nachtzug nach Lissabon. München (GER), btb Verlag

Rotthaus, W. (2014). Warum systemische Therapeutinnen und Therapeuten sich mit Kunst befassen sollten. Systemische Streifzüge - Herausforderungen für Therapie und Beratung. J. Zwack und E. Nicolai. Göttingen (GER), Vandenhoeck & Ruprecht: 246-259

Tan, C.-M. (2013 [2012]). Search Inside Yourself - The Secret Path to Unbreakable Concentration, Complete Relaxation and Total Self-Control. London (UK), Thorsons

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen